Alte weiße Männer und die Macht
Wie konservative Ideologien und nostalgische Verklärungen die Zukunft gefährden
Das jüngste TV-Duell bot ein ernüchterndes Bild: Joe Biden zeigte sich als gebrechlicher Mann, dessen beste Tage offenbar hinter ihm liegen. Dennoch hält er unbeirrt an seinen Präsidentschaftsambitionen fest. Angesichts der drohenden Wiederwahl Donald Trumps und der radikalen Pläne von Project 2025 stellt sich die Frage: Warum klammern sich alte weiße Männer wie Biden, Trump und auch Friedrich Merz in Deutschland so hartnäckig an ihre Machtpositionen, obwohl sie offensichtlich nicht mehr in der Lage sind, diese Ämter angemessen auszufüllen?
Patriarchale Machtgefüge
Die Wurzeln dieses Phänomens liegen tief in der Geschichte patriarchaler Strukturen in der Politik. Diese Strukturen wurden durch eine jahrhundertelange Tradition der Machtkonzentration in den Händen weniger privilegierter Männer gestärkt. Philosophisch gesehen basiert das Konzept des "starken Mannes" auf der Vorstellung, dass Autorität und Macht untrennbar miteinander verbunden sind. Diese Männer haben oft das Gefühl, dass ihre Positionen nicht nur ein persönliches Privileg, sondern auch eine gesellschaftliche Notwendigkeit darstellen.
Psychologisch betrachtet spielt die Angst vor dem Verlust von Relevanz und Kontrolle eine wesentliche Rolle. Viele dieser Führungskräfte sind unfähig, loszulassen, da sie ihre Identität und ihren Selbstwert stark mit ihrer Machtposition verknüpfen. Das Ergebnis ist ein hartnäckiges Festhalten an der Macht, trotz körperlicher und geistiger Schwächen.
Simone de Beauvoir: "Der Unterdrücker wäre nicht so stark, wenn er nicht Komplizen unter den Unterdrückten hätte."
Demografischer Wandel und Nostalgie
Der demografische Wandel spielt ebenso eine entscheidende Rolle bei der Erklärung, warum alternde Politiker und konservative Kräfte weiterhin Erfolg haben. In vielen westlichen Ländern altert die Bevölkerung rapide, was zusammen mit dem technologischen Fortschritt und der Vielzahl an globalen Problemen eine Sehnsucht nach der "guten alten Zeit" verstärkt. Diese Nostalgie wird von politischen Akteuren geschickt genutzt, um Unterstützung zu mobilisieren. Konservative Kräfte idealisieren vergangene Zeiten und versprechen eine Rückkehr zu vermeintlich besseren Zeiten. Medien und kulturelle Narrative verstärken diese nostalgischen Tendenzen, indem sie Bilder und Geschichten verbreiten, die die Vergangenheit glorifizieren. Dies schafft ein Klima, in dem ältere, konservative Politiker als Bewahrer einer vertrauten und sicheren Welt wahrgenommen werden.
Und tatsächlich war es für viele weiße Männer wahrscheinlich eine bessere Zeit. Frauen waren abhängig von ihren Männern, Männer waren die Alleinverdiener und um Haushalt und Care-Arbeit mussten sie sich nicht kümmern. Selbst ein Postbote konnte sich ein Haus leisten. Diese vermeintlich goldene Ära war jedoch für viele andere von Ungerechtigkeit und Unterdrückung geprägt. Die Sehnsucht nach der Vergangenheit blendet die sozialen Fortschritte und die Notwendigkeit aus, sich den Herausforderungen einer sich verändernden Welt zu stellen. Diese nostalgische Verklärung führt dazu, dass wir in gefährliche politische Muster zurückfallen, anstatt mutig in die Zukunft zu schauen und Lösungen für die heutigen Probleme zu finden.
Rechtsruck in alternden westlichen Gesellschaften
Es ist kein Zufall, dass der Rechtsruck in vielen alternden westlichen Gesellschaften besonders stark ausgeprägt ist. Der demografische Wandel und die damit verbundene Nostalgie fördern konservative und rechte Strömungen. In den USA, Deutschland und anderen westlichen Ländern zeigt sich ein deutliches Muster: Hauptsächlich ältere Wählergruppen neigen dazu, konservative und rechte Parteien zu unterstützen.
Statistische Daten bestätigen diesen Trend. Ältere Wähler sind häufiger bereit, für Kandidaten und Parteien zu stimmen, die traditionelle Werte und konservative Ideologien vertreten. Diese Nostalgie und die kollektive Unfähigkeit, auf aktuelle Probleme mit tatsächlichen Lösungen zu reagieren, bewirken jedoch auch, dass diese Strömungen bei jungen Menschen Einzug finden. Die Konstruktion von Feindbildern, auf die man alle Probleme abwälzen kann, ist für viele Menschen verlockender, als sich mit komplexen Lösungen auseinandersetzen zu müssen. Es ist entscheidend, dass wir uns dieser Dynamik bewusst werden und aktiv daran arbeiten, politische Bildung und kritisches Denken zu stärken. Nur so können wir verhindern, dass nostalgische Verklärungen die Zukunft dominieren und echte Lösungen für die komplexen Herausforderungen unserer Zeit gefunden werden.
Gustav Mahler: “Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers”
Beispiele aus Deutschland
In Deutschland verkörpert Friedrich Merz den Archetypus des patriarchalischen und nostalgischen Politikers. Merz, der 1997 noch dagegen stimmte, dass Vergewaltigungen in der Ehe eine Straftat sein sollten, propagiert eine Politik, die stark auf traditionellen Werten, Chauvinismus und wirtschaftlichem Konservatismus basiert. Diese Haltung spricht insbesondere Wähler an, die sich nach Stabilität und Kontinuität sehnen und für die die "Flüchtlingskrise" ein Fehler war.
Auch die AfD nutzt diese Sehnsüchte geschickt aus. Neben ihren rechtsextremen Narrativen bedient sich die Partei auch des nostalgischen Glaubens an eine vermeintlich bessere Vergangenheit. Dies zeigt sich schon in ihrer Gründungsgeschichte, als sie eine Rückkehr zur DM forderte. Aber auch heute bedient man sich noch dieses Glaubens, wenn man sich ein "Europa der Vaterländer" wünscht, statt einer Europäischen Union. Die Dekonstruktion des Fortschritts ist für viele ein fester Bestandteil ihrer Identität. Dieses Zusammenspiel von Angst, Nostalgie und rechter Ideologie hat der AfD in den letzten Jahren erhebliche Erfolge beschert.
Gefahren und Herausforderungen
Die politische Stagnation durch alternde Führungskräfte stellt eine ernsthafte Bedrohung für die Demokratie und unsere Werte dar. Wenn politische Systeme von einer Generation dominiert werden, die nicht bereit ist, Platz zu machen, wird der notwendige Erneuerungsprozess blockiert. Dies bietet rechtsextremen Kräften eine ideale Plattform, um ihre Agenden voranzutreiben. Die Gesellschaft muss dringend den Mut aufbringen, sich von den alten patriarchalen Strukturen zu lösen und den Weg für eine neue, diverse und zukunftsorientierte politische Landschaft zu ebnen.
Die vielfältigen Probleme und Herausforderungen, vor denen wir stehen, lassen sich nicht mit Nationalismus und Verklärung der Vergangenheit lösen. Probleme wie der Klimawandel, der Umweltschutz, der technologische Wandel und die Digitalisierung, die soziale Gerechtigkeit, die Gleichstellung und die Migration erfordern innovative, kooperative und oft internationale Ansätze, die über den traditionellen konservativen und nationalistischen Rahmen hinausgehen.
Auch wenn es zurzeit düster aussieht, gab es in der Geschichte der Menschheit immer wieder Zeiten, in denen sozialer, moralischer und technologischer Fortschritt zurückgedreht wurde. Diese Rückschritte waren jedoch nie von Dauer. Auch heute wird der Aufstieg konservativer und rechtsextremer Kräfte nicht von Dauer sein. Der Fortschritt lässt sich nicht aufhalten.
Søren Kierkegaard: "Das Leben kann nur rückwärts verstanden, aber es muss vorwärts gelebt werden."