Going Dark: Warum die Chatkontrolle erst der Anfang sein wird
Wie die EU während der EM unsere Freiheitsrechte untergraben will
Die Einführung der sogenannten Chatkontrolle, die von Befürworter*innen als notwendiges Mittel im Kampf gegen Kinderpornographie propagiert wird, stellt einen massiven Eingriff in die Privatsphäre dar. Das emotionale Thema des Kindesmissbrauchs wird dabei oft genutzt, um Widerstände gegen solch tiefgreifende Überwachungsmaßnahmen zu brechen und Politiker*innen zu einer Zustimmung zu bewegen. Wer sich gegen diese Überwachungsmaßnahmen wehrt, wird dabei schnell in eine ganz dunkle Ecke gestellt. Doch die Chatkontrolle wird vermutlich nur der erste Baustein sein.
Auch wenn die CDU schon immer eine der größten Triebfedern in Themen wie Vorratsdatenspeicherung und Überwachung war, stößt sie, auch dank der Piraten, immer wieder auf Widerstand. Doch nun kommt wieder Bewegung in das Thema Chatkontrolle durch Belgien. Ein geleakter Vorschlag gibt Einblicke, wie die Chatkontrolle funktionieren soll. Alle Messengerdienste oder Dienste, die Messengerfunktionen enthalten, sollen vor dem Senden von Bildern, Videos und Links diese prüfen.
Dies soll auf folgende Weisen passieren:
1. Traditioneller kryptographischer Hash: Über das zu versendende Bild wird eine Prüfsumme errechnet und mit einer Datenbank verglichen.
2. Perceptual Hashing: Während man nur einen einzigen Pixel ändern muss, um traditionelle Hashes auszuhebeln (Avalanche-Effekt), arbeiten perceptual Hashes mit „Bildausschnitten“. Diese werden heute vor allem zum Erkennen von Urheberrechtsverstößen eingesetzt.
3. AI-unterstützt: Durch maschinelles Lernen trainierte Modelle könnten die Fotos serverseitig überprüfen.
Für diese CSAM-Filtermethoden (child sexual abuse material) bieten natürlich bereits Microsoft mit „PhotoDNA“, Facebook mit der „PDQ Hash Function“ und Apple mit „NeuralHash“ fertige Lösungen an. Falls sich noch irgendjemand fragt, woher eigentlich diese Motivation kommt. [1]
Ob nach Kinderpornografie oder anderen heutigen oder zukünftig verbotenen Dingen gesucht wird, bestimmt dabei lediglich nur eine Datenbank mit Hashes, die ziemlich leicht zweckentfremdet werden kann.
In Belgiens Vorschlag steht explizit, dass man keine Texte und Audiodateien scannen wolle, was wohl in vorherigen Vorschlägen enthalten war. Auch solle den Nutzer*innen eine Opt-out-Funktion angeboten werden, womit die Teilhabe im sozialen Netzwerk eingeschränkt wäre (keine Bilder versenden; keine Links teilen). Ebenso soll nach diesem Vorschlag die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung der Dienste nicht angegriffen werden.
Dieser Gesetzesentwurf soll während der Fußball-Europameisterschaft in Kraft treten – ein geschicktes Timing, das darauf abzielt, den öffentlichen Widerstand zu minimieren [2]. Die Mehrheit der Geheimdienste dürfte jedoch mit solchen Vorschlägen unzufrieden sein, da sie schon seit Langem weiterreichende Maßnahmen wie Hintertüren in der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung fordern.
Es ist offensichtlich, dass die Chatkontrolle nur der erste Schritt in Richtung einer viel weitreichenderen Massenüberwachung ist. Im Juni 2023 wurde die "High-Level Group (HLG) on access to data for effective law enforcement" ins Leben gerufen. Vor kurzem durfte der Europaabgeordnete der Piratenpartei, Dr. Patrick Breyer, einsehen, was in den Hinterzimmern ausgehandelt wurde. Insgesamt handelt es sich um einen Vorschlag, der 42 Punkte umfasst [3]. Die "Going Dark"-Vorschläge zur geplanten Überwachungsmaßnahme sind im folgenden Bild zusammengefasst.
Diese Maßnahmen würden eine nahezu lückenlose Überwachung der europäischen Bürger*innen ermöglichen. Die Vorratsdatenspeicherung würde bedeuten, dass sämtliche Kommunikationsdaten auf Vorrat gespeichert werden, unabhängig davon, ob ein konkreter Verdacht besteht. Der „Polizei-Generalschlüssel“ und der „Zugang by Design“ würden den Sicherheitsbehörden direkten Zugang zu unseren persönlichen Geräten gewähren.
Ein besonders beunruhigender Aspekt ist der geplante „Bewegungsprofilschalter“, der eine lückenlose Überwachung unserer Bewegungen ermöglichen würde. Selbst verschlüsselte Kommunikation wäre nicht sicher, da Technologiestandards durch die Einführung von Hintertüren unterwandert würden.
Der Rechtsruck erhöht meiner Meinung nach die Chancen, dass solche Überwachungspläne tatsächlich Realität werden. Solche „Deals“ werden immer noch intransparent in dunklen Kämmerchen ausgehandelt. Dadurch hat die Öffentlichkeit immer relativ wenig Zeit zu reagieren. Besonders wenn ein Gesetzentwurf, wie im Falle der Chatkontrolle, während einer EM und der beginnenden Ferienzeit kommt.
Vielen Dank fürs Lesen. Lasst gerne ein Abo da, um keinen Beitrag zu verpassen. Weiterführende Informationen findet ihr bei Patrick Breyer und auf Netzpolitik.org.
Quellen:
[2] https://www.patrick-breyer.de/en/council-to-greenlight-chat-control-take-action-now/