Was Greta Thunberg zwei Jahre zuvor initiiert hatte, erreichte seinen Höhepunkt am 20. September 2019. Beim globalen Klimastreik gingen allein in Deutschland über 1,4 Millionen Menschen auf die Straße, um für mehr Klimaschutz und Klimagerechtigkeit zu demonstrieren. Bei der Europawahl im selben Jahr erzielten die Grünen ein historisches Ergebnis.
Der Auftrag an Brüssel und auch die Bundesregierung war klar: Wir wollen Klimaschutz!
Es war eine Zeit, in der selbst die Wirtschafts- und Finanzelite auf dem World Economic Forum (WEF) sich einig war und die Klimakrise sowie Extremwetterereignisse als zwei der größten Bedrohungen anerkannten. Es war eine Zeit, in der man sich zu Recht schämen musste, wenn man eine Kreuzfahrt unternahm. Es war eine Zeit, in der man nur noch mit schlechtem Gewissen flog und versuchte, die Schäden mit Geld auszugleichen. Menschen wurden Vegetarier oder gleich Veganer, reisten mit dem Nachtzug und verzichteten auf das Auto. Alles deutete darauf hin, dass es eine Kurskorrektur geben würde und die Pariser Klimaabkommen eingehalten werden sollten.
Doch dann kam das Coronavirus, welches die Welt lahmlegte. Zwar spielte Klimaschutz im Bundestagswahlkampf 2021 noch die größte Rolle, doch das Thema war spätestens seit Beginn des russischen Angriffskrieges, des daraus resultierenden Preisschocks und dem damit verbundenen Aufstieg rechtsextremer Parteien vom Tisch.
In diesem Artikel möchte ich ergründen, warum eigentlich immer etwas dazwischenkommt und warum wir nicht einfach das Richtige tun.
Niemand versteht den Klimawandel
Der Klimaschutz ist ein unglaublich komplexes Thema, das viele Facetten und Ebenen umfasst. Es geht nicht nur um die Reduktion von CO2-Emissionen, sondern auch um den Erhalt der Biodiversität, den Schutz der Ozeane, die Umstellung der Energieversorgung und vieles mehr. Diese Vielschichtigkeit führt oft dazu, dass einfache Lösungen nicht ausreichen und tiefgreifende Veränderungen in vielen Bereichen notwendig sind. Dabei gibt es viele Unbekannte in der Gleichung. Es gibt einen breiten Konsens darüber, dass die CO2-Konzentration seit Beginn der industriellen Revolution zunimmt, dass es eine sehr hohe Korrelation zwischen der CO2-Konzentration in der Atmosphäre und der globalen Durchschnittstemperatur gibt und dass durch Isotopenanalyse des CO2 klar ist, dass die Quelle des Zuwachses aufgrund des Alters nur fossile Brennstoffe sein können.
Weniger Klarheit gibt es bei Themen wie Kipppunkte. Diese lassen sich nicht so einfach durch Messungen und Interpolationen bestimmen. Wir können nur Mutmaßungen darüber anstellen, wann diese Kipppunkte erreicht sind und was das Kippen für Auswirkungen hat. Zum Beispiel könnte der Anstieg der Durchschnittstemperatur von +1,6°C in Deutschland [1] mit dem Kippen des Nordatlantikstroms (Teil der Atlantic Meridional Overturning Circulation, AMOC) zu einer Abkühlung von bis zu 1 bis 3°C führen [2].
Diese Komplexität führt dazu, dass es für die meisten Menschen ein zu abstraktes Thema ist. Klimaveränderungen sind oft nicht direkt spürbar, und die gravierendsten Folgen werden erst in einigen Jahrzehnten deutlich sichtbar sein. Diese zeitliche Distanz macht es schwer, die Dringlichkeit des Handelns zu vermitteln. Menschen neigen dazu, Probleme, die weit in der Zukunft liegen, zu ignorieren oder zu verdrängen. Außerdem sind die Auswirkungen des eigenen Handelns oft nicht direkt sichtbar. Wenn jemand heute auf Fleisch verzichtet oder das Auto stehen lässt, hat dies keinen sofortigen Effekt auf das Klima. Diese Abstraktheit und Langfristigkeit erschweren es, eine breite und nachhaltige Unterstützung für Klimaschutzmaßnahmen zu mobilisieren.
Psychologische Abwehrmechanismen
Die menschliche Psyche verfügt über verschiedene Abwehrmechanismen, die es uns ermöglichen, unangenehme Wahrheiten zu verdrängen oder zu relativieren. Im Kontext des Klimawandels äußert sich das oft in Form von Verleugnung oder Bagatellisierung. Manche Menschen weigern sich schlichtweg, die wissenschaftlichen Erkenntnisse anzuerkennen, weil diese nicht in ihr Weltbild passen (AfD) oder weil sie die Konsequenzen ihres eigenen Handelns nicht akzeptieren wollen (Kapitalisten). Andere erkennen zwar die Problematik an, schieben aber die Verantwortung auf andere ("aber China") oder hoffen, dass technische Lösungen das Problem schon irgendwie lösen werden (FDP). Diese psychologischen Abwehrmechanismen verhindern, dass wir die nötigen Schritte zum Klimaschutz konsequent gehen.
Ein weiteres Hindernis ist die kognitive Dissonanz, also der innere Konflikt, der entsteht, wenn unser Verhalten nicht mit unseren Überzeugungen übereinstimmt. Viele Menschen sind sich der Notwendigkeit von Klimaschutzmaßnahmen bewusst, tun sich aber schwer, ihr eigenes Verhalten entsprechend anzupassen. Dies führt zu einem unangenehmen Spannungszustand, den wir auf verschiedene Weise zu reduzieren versuchen – zum Beispiel indem wir unser Verhalten rechtfertigen, uns selbst belügen oder die Dringlichkeit des Problems herunterspielen. Diese Dissonanz führt dazu, dass Menschen die Grünen wählen und trotzdem einen SUV fahren. Unangenehme Wahrheiten, die nicht ins eigene Weltbild passen, wie zum Beispiel, dass eine Woche Kreuzfahrt etwa einem Jahr PKW-Nutzung entspricht, blendet man aus.
Das Prinzip der maximalen Energieausbeute
Es ist ökonomisch und politisch gewollt, dass wir nur die Symptome des Klimawandels behandeln und nicht die Ursache bekämpfen. Jede Ablenkung durch andere Themen kommt uns deswegen recht, denn die Ursache für die Klimakrise liegt tief in uns selbst verborgen.
Das Prinzip der maximalen Energieausbeute, im Englischen Maximum Power Principle (kurz MPP) genannt, wurde in den 1950er Jahren von dem Ökologen und Systemwissenschaftler Howard T. Odum beschrieben. Odum war einer der Pioniere der Systemökologie und Energetik und trug wesentlich zum Verständnis der Energieflüsse in ökologischen und anderen komplexen Systemen bei.
Die Grundidee des MPP ist, dass ein System, das Energie effizient nutzt und diese Energie so verteilt, dass die Gesamtenergiegewinnung maximiert wird, eine höhere Überlebens- und Reproduktionsfähigkeit hat. Im Kontext der Ökologie bedeutet dies, dass Organismen oder Ökosysteme, die ihre Energieflüsse optimal steuern, um die höchste Nettoproduktion zu erreichen, besser an ihre Umgebung angepasst sind.
Schlüsselmerkmale:
Effizienz und Nutzung von Energiequellen: Systeme müssen Energiequellen so nutzen, dass die Energiegewinnung maximiert wird. Das bedeutet nicht unbedingt die höchste Effizienz im Sinne des geringsten Energieverbrauchs, sondern eine Balance, die die größte Gesamtausbeute bringt.
Anpassung und Evolution: Systeme, die ihre Energieflüsse besser optimieren können, haben einen evolutionären Vorteil. Dies gilt sowohl für biologische Organismen als auch für menschliche Gesellschaften und Technologien.
Energetische Balance: Es gibt einen Punkt, an dem die Energieaufwendung für den Betrieb und die Aufrechterhaltung eines Systems die Energiegewinne übersteigt. Das MPP legt nahe, dass Systeme sich so entwickeln, dass sie vor Erreichen dieses Punktes ihr Wachstum einstellen, um die maximale Nettogewinnung zu sichern.
Auch der Kapitalismus ist ein solches System, das dem Maximum Power Principle unterliegt. Kohle, Öl und Gas haben die industrielle Revolution, wie wir sie kennen, erst ermöglicht. Diese günstigen und praktischen Energieformen haben dem Kapitalismus das gegeben, was er brauchte: kontinuierliches Wachstum. Und nach wie vor hängen wir an diesem Tropf, denn der weltweite Energiehunger steigt weiter an. Der Zubau erneuerbarer Energien ist insofern keine Substitution, sondern nur eine Ergänzung zu den fossilen Energieträgern.
Eine Substitution bedeutet in den meisten Fällen Mehrkosten, die sowohl dem Kapitalismus als auch dem MPP widersprechen würden. Solange fossile Energieträger die kostengünstigste und praktikabelste Energiequelle darstellen, wird der Kapitalismus weiterhin auf deren Nutzung bestehen, was die Klimakrise verschärft. Viele Wirtschaftsbereiche – allen voran die fossile Energiewirtschaft – haben ein starkes Interesse daran, den Status quo zu erhalten. Diese Industrien verfügen über erhebliche finanzielle Mittel und politischen Einfluss, den sie nutzen, um Klimaschutzmaßnahmen zu blockieren oder zu verwässern. Denn die meisten großen Firmen im Kapitalismus sind börsennotiert, was kurzfristige Profitmaximierung begünstigt.
Polititische Lethargie
Neben aktivem Lobbyismus gegen Klimaschutz profitieren die Profiteure der Klimakrise vor allem durch die Überalterung der meisten großen Industrieländer. Diese demografische Entwicklung führt zu einer politischen Lethargie, die dringend notwendige Maßnahmen verzögert oder sogar verhindert. Ältere Wählergruppen, die oft einen großen Teil der Wahlbevölkerung ausmachen, neigen dazu, konservativer zu wählen und Prioritäten zu setzen, die kurzfristige Stabilität über langfristige Nachhaltigkeit stellen. Klimaschutzmaßnahmen, die als Bedrohung für den bestehenden Lebensstandard und die wirtschaftliche Sicherheit wahrgenommen werden, finden daher weniger Unterstützung. Die Boomer stellen eine große Wählergruppe, die ausschließlich Politik machte, die sie begünstigte. Das war eine Wirtschaftspolitik, die ihnen den Aufstieg ermöglichte, ein Rentensystem, das schon bald nicht mehr finanzierbar sein wird und erst eine Politik der ruhigen Hand (Schröder) und dann eine Politik der ruhenden Hand (Merkel).
Das letzte große Projekt, das in Deutschland angestoßen wurde, war unter der SPD die Agenda 2010 – diese kostete Schröder das Kanzleramt. Genauso sind die Grünen die einzige Partei, die mit der Energiewende ein großes Thema angehen wollen – diese wird Habeck die Kanzlerkandidatur kosten. Es scheint inzwischen in Deutschland Konsens zu sein, dass man als „erfolgreicher Politiker“ nichts ändert, sondern nur verwaltet. Für die Wähler der AfD ist aber selbst der Stillstand der Merkeljahre schon zu viel Fortschritt. Sie träumen von einer Rückkehr zu vermeintlich besseren Zeiten in den 70ern und 80ern. Das ist auch der Grund, warum die Grünen für die Rückwärtsgewandten, egal ob Merz-CDU oder AfD, das Feindbild sind.
Ein weiterer wichtiger Aspekt, der zur politischen Lethargie beiträgt, ist die fehlende Bereitschaft, für den Klimaschutz persönliche und wirtschaftliche Opfer zu bringen. Klimaschutzmaßnahmen sind teuer, belastend und mit Aufwand verbunden.
Mediale Kriegsführung
Ein weiterer Faktor, der maßgeblich zum Scheitern des Klimaschutzes beiträgt, ist die Rolle der Medien. Medien haben die Macht, öffentliche Meinungen zu formen und politische Debatten zu beeinflussen. Leider wird diese Macht oft genutzt, um Klimaschutzmaßnahmen zu diskreditieren und den Status quo zu bewahren. Ein besonders anschauliches Beispiel dafür bietet Rupert Murdoch in Australien und die Springerpresse in Deutschland.
In Australien ist Rupert Murdoch, dessen Medienimperium die Mehrheit der australischen Zeitungen kontrolliert, bekannt dafür, Klimawissenschaft zu untergraben und klimaleugnende Ansichten zu verbreiten [4]. Seine Zeitungen haben wiederholt wissenschaftlich fundierte Berichte über den Klimawandel in Frage gestellt und Klimaschutzmaßnahmen als unnötig und wirtschaftlich schädlich dargestellt. Diese Desinformation trägt dazu bei, die öffentliche Unterstützung für notwendige Maßnahmen zu untergraben und politische Entscheidungsträger unter Druck zu setzen, die Klimapolitik zu verwässern oder ganz aufzugeben.
Ein ähnliches Muster zeigt sich in Deutschland bei der Berichterstattung der Springerpresse. Besonders deutlich wurde dies in der Kampagne gegen das Heizungsgesetz der Grünen. Die Bild-Zeitung und andere Publikationen der Springer-Gruppe haben massiv gegen das Gesetz mobilisiert [5], indem sie Ängste schürten und die Kosten und Umsetzungsprobleme dramatisierten. Diese Berichterstattung führte zu einer erheblichen Verunsicherung in der Bevölkerung und verstärkte den Widerstand gegen das Gesetz, was letztlich dazu beitrug, dass es in seiner ursprünglichen Form nicht umgesetzt wurde.
Diese Beispiele zeigen, wie Medienhäuser mit erheblicher Reichweite und Einfluss gezielt Desinformation und populistische Narrative verbreiten können, um Klimaschutzmaßnahmen zu torpedieren. Solche Kampagnen schüren Ängste und Unsicherheiten, lenken von den wissenschaftlichen Fakten ab und schaffen ein feindliches Umfeld für Politiker, die mutige und notwendige Entscheidungen treffen wollen. Doch nicht nur die offensichtlichen Bad Actors sind hier ein Problem. Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) trägt durch das Weglassen wichtiger Informationen und das Framing von Themen dazu bei, die Dringlichkeit des Klimaschutzes zu untergraben. Zudem bietet der ÖRR durch das Platforming von Klimawandelleugnern, insbesondere aus den Reihen der AfD, diesen unwissenschaftlichen Positionen eine Bühne, was die öffentliche Wahrnehmung weiter verzerrt.
Klimaschutz? Vielleicht morgen.
Klimaschutz ist ein abstraktes, existenzbedrohendes Thema, das wir aus Unfähigkeit des eigenen Handelns vor uns herschieben, und es gibt viele Ausreden, warum wir dies tun. Auch wenn der globale Rechtsruck jüngst ein paar Rückschläge in Großbritannien und Frankreich erlitten hat, so ist nicht auszuschließen, dass dieser weiter zunehmen wird. Die Probleme, die wir vorschieben können, werden uns nicht ausgehen, denn Trump wird mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder Präsident. Damit würde die Ukraine ihren wichtigsten Unterstützer verlieren, und auch die Taiwan-Frage könnte wieder in den Vordergrund rücken.
Doch trotz dieser düsteren Aussichten dürfen wir nicht aufgeben. Auch wenn der Kampf aussichtslos erscheinen mag, sollten wir weiterhin nach der Maxime leben, dass wir es schaffen können, wenn wir es wirklich wollen und unseren Beitrag leisten. Jeder Einzelne von uns kann einen Unterschied machen, indem wir keine SUVs fahren, auf Kreuzfahrten verzichten, nachhaltiger leben und unseren Fleischkonsum erst reduzieren und schließlich ganz einstellen, um irgendwann vegan zu leben.
Es mag wie ein Tropfen auf den heißen Stein erscheinen, doch viele Tropfen zusammen können einen Fluss bilden. Unser Handeln zählt, und wenn wir gemeinsam nach unseren Idealen streben, können wir die Welt verändern.
Und selbst wenn wir es nicht schaffen, so wissen wir doch seit Albert Camus’ "Der Mythos des Sisyphos", dass der Kampf gegen Gipfel ein Menschenherz ausfüllen kann. Der Einsatz für unsere Umwelt und die Bemühungen, die Klimakrise zu bewältigen, sind es, was uns mit einem Gefühl der Zweckmäßigkeit und moralischen Integrität erfüllt. Es ist dieser ständige Kampf und das Streben nach einer besseren Welt, die uns letztendlich erfüllt und uns ein Gefühl der Hoffnung und des Zusammenhalts geben.
Quellen:
[1]: https://www.dwd.de/DE/klimaumwelt/klimawandel/klimawandel_node.html
[2]: https://www.umweltbundesamt.de/service/uba-fragen/kippt-der-golfstrom-kommt-es-daher-in-europa-zu
[3]: https://ourworldindata.org/global-energy-200-years
[4]: https://independentaustralia.net/politics/politics-display/rupert-murdoch-is-leading-australia-to-climate-ruin-flashback-2019,16946
[5]: https://www.lobbycontrol.de/lobbyismus-und-klima/wie-die-gaslobby-das-heizungsgesetz-entkernt-hat-109931/